Axel Prahl im Interview: Biografie, „Tatort" und Umgang mit Radikalen

Wenn man den Namen Axel Prahl (65) hört, denkt man direkt an den Münsteraner „Tatort“-Kommissar Frank Thiel, den er seit 2002 verkörpert. Doch schon vorher spielte der Schauspieler Theater, außerdem dreht er parallel Filme und Serien. Prahl ist zudem als Musiker mit seiner Band „Das Inselorchester“ unterwegs. Nun hat der Journalist Knut Elstermann mit Prahl eine Biografie über ihn geschrieben, die am 5. November unter dem Titel „Was man liebt, braucht Zeit“ erscheint – in Form einer literarischen Collage aus Erinnerungen und Interviews mit Weggefährten.
„Was man liebt, braucht Zeit“, lautet der Titel Ihrer Biografie. Was bedeutet dieser Satz für Sie?
Zeit ist mit das Wichtigste im Leben, weil sie begrenzt ist. Insbesondere in der Kunst ist es so, dass der stete Tropfen den Stein höhlt. Wenn ich jeden Tag eine kleine Streichholzschachtel bemale und sie mit anderen Streichholzschachteln, die ich ebenfalls bemalt habe, zusammenklebe, kann Stück für Stück ein großes Kunstwerk entstehen. Für jedwede Dinge, die man liebt, braucht man Zeit.
Haben Sie sich immer genug Zeit für die Dinge genommen, die Sie lieben?
Bei meiner Reflexion dazu habe ich gemerkt, dass ich 2014 beispielsweise fünf Filme gedreht und 50 Konzerte gegeben habe. Da war dann nicht mehr so viel Zeit für die Familie übrig. Das hat zu dem Gedanken geführt, dass ich meine Zeit neu ausrichten muss.
Und wie haben Sie das gemacht?
Ich musste lernen, Nein zu sagen, was mir nach wie vor leider schwerfällt. Ich kann mich schnell für eine Sache begeistern und bin deswegen leider immer noch nicht so wahnsinnig gut im Neinsagen.
Sie müssen dementsprechend auch Nein sagen zu Sachen, für die Sie sich begeistern, weil es zu viele davon gibt?
Richtig, das ist natürlich ein Luxus. Aber es ist eben manchmal auch nicht einfach, alles unter einen Hut zu bekommen.

Autor Knut Elstermann, der die Biografie mit Ihnen geschrieben hat, sagt über Sie: „Er wurde für mich eine Art Kafka-Figur der Gegenwart.“ Was sagen Sie zu dem Vergleich?
Das ist ein schönes Kompliment. Durch meine Arbeit in dem Kinofilm „Kafkas – Der Bau“ habe ich mich ein wenig intensiver mit diesem Autor beschäftigt. Kafka war immer ein bisschen verschroben, ein bisschen mystisch, bisweilen und in gewisser Weise auch manchmal ein Visionär. „Der Bau“ handelt ja von einem Tierwesen, das sich in seinem Bau von der Außenwelt abschottet und hinreißen lässt zum Morden, weil es sein Hab und Gut bedroht sieht. Das beschreibt sehr gut, was gerade in der europäischen Politik passiert: Alle hadern damit, dass andere Menschen in ihr Land kommen, weil sie auch sicher und gut leben wollen. Durch diese Zuwanderer sehen sich manche bedroht.
Für den Autor Knut Elstermann war außerdem Ihr Auftritt im Film „Nachtgestalten“ (1999) ein Schlüsselmoment, wenn er auf Ihre Karriere blickt. Welches war Ihr Schlüsselmoment als Schauspieler?
Für mich war es der Film „Halbe Treppe“, für den es kein Drehbuch gab. Regisseur Andreas Dresen hatte lediglich Biografien für die Charaktere geschrieben, die Handlung des Films haben wir drei Monate lang in einem Hotel gemeinsam erdacht. Das war ein besonderes Werk für mich, weil mein Lieblingsarbeitsinstrument die Improvisation ist.
Wie oft kommen Sie heute noch zum Improvisieren?
Beim „Tatort“ improvisieren Jan Josef Liefers und ich auch an manchen Stellen oder erfinden Dinge hinzu, die im Drehbuch nicht stehen – für den Unterhaltungswert. Diese Arbeit macht mir wahnsinnig Spaß.
Ihr größter Erfolgsmoment war und ist aus der Außenperspektive sicherlich der „Tatort“-Ermittler Frank Thiel, den Sie seit mehr als 20 Jahren spielen. Wie sehr hat diese Rolle Ihr Leben verändert?
Jan Josef und ich waren beide ein bisschen überrascht von dem Erfolg. Als ich damals gefragt wurde, ob ich „Tatort“-Kommissar in Münster werden will, habe ich lange überlegt. Als wir dann angefangen hatten, waren wir einmal mit den Kölner „Tatort“-Kollegen Dietmar Bär und Klaus J. Behrendt unterwegs und ich fand es faszinierend, wie sie in Köln überall angesprochen wurden. Da meinten die: „Wartet mal ab, in zwei, drei Jahren geht es euch genauso.“ Sie sollten Recht behalten. Wenn die Leute mir heute „Hey Thiel“ oder sowas hinterherschreien, sagt meine Frau immer: „Sei froh, dass du nicht Adolf Hitler gespielt hast.“

Finden Sie es trotzdem manchmal nervig, dass Sie als Herr Thiel statt Herr Prahl angesprochen werden?
Ja, das ist aber eher selten der Fall. Dann kommt eher sowas wie „Hallo, Herr Kommissar“. Ansonsten werde ich doch eher als Herr Prahl angesprochen.
Im Supermarkt werden Sie vermutlich oft erkannt. Wie sehr müssen Sie in Ihrem Alltag Ihre Privatsphäre schützen?
Ich bin ja schon ans hinterste Ende der Welt gezogen. (lacht)
Aber auch da schauen die Leute wahrscheinlich „Tatort“ …
Ja, aber die lassen mich hier meist in Ruhe. Hier gibt es einen Supermarkt, bei dem kann ich unbehelligt einkaufen gehen und die Angestellten kennen mich auch schon.
Sie sagten, Sie haben damals lange überlegt, ob Sie die „Tatort“-Rolle annehmen sollen. Haben Sie es jemals bereut?
Nein, bereut habe ich in meinem Leben so gut wie gar nichts. In jedem schlechten Erlebnis steckt doch auch immer irgendetwas Positives für die Entwicklung. Man muss bisweilen scheitern, um sich weiterzuentwickeln. Das gehört leider Gottes dazu.
Axel Prahl über seinen "Tatort"-Kommissar
Den Filmtod mussten Sie noch nicht so oft sterben. Würden Sie gern irgendwann Thiels Tod spielen – oder soll es, wenn es so weit ist, lieber anders mit Ihrem Ermittler zu Ende gehen?
Thiel sehe ich eher mit Professor Boerne irgendwo auf den Balearen am Strand (lacht). Bei verschiedenen TV Movies musste ich schon den Filmtod sterben. In „Nur mit Dir zusammen“ war es zum Beispiel ein Herzinfarkt. In „Die Himmelsleiter“ wurde ich erschossen, in „An enemy to die for“ und in Lars Beckers „Rette deine Haut“ auch. Dazu gibt es eine ganz schöne Geschichte: Wir haben in einem Wohngebiet gedreht und es gab nachts eine Drehunterbrechung, und dann bin ich in eine Kneipe mit diesem aufgeschminkten Kopfschuss gegangen. Das sorgte für Furore. (lacht)
Abseits vom „Tatort“ spielen Sie oft „den allein gelassenen Normalbürger“, analysiert Knut Elstermann. Was zieht Sie zu diesen Rollen hin?
Das war aber nicht das ganze Zitat von Knut, das ging ja noch weiter. Darum wollte Knut ja dieses Buch schreiben, weil ich eben nicht nur den kleinen Mann spiele. Das ist ja meist auch einfach eine Frage der medialen Wahrnehmung. Und es hat natürlich auch etwas mit den Angeboten zu tun, und dass die Verantwortlichen für die Besetzungen immer gern auf Nummer sicher gehen. Aber vielleicht auch ein bisschen mit meinem Wunsch nach Gerechtigkeit. Wir brauchen eine gewisse Umverteilung und nicht noch mehr Milliardäre. Aber ich spiele bei Weitem nicht nur die „kleinen Leute“, auch wenn das immer gern behauptet wird. Kürzlich habe ich erst den Professor Carl Clauberg darstellen dürfen, im noch nicht veröffentlichten Film „Block 10“. Das war der Block in Auschwitz, in dem junge, jüdische Frauen zwangssterilisiert wurden. Da habe ich einen furchtbaren Unmenschen gespielt.
Das ist eine heftige Rolle. Gibt es Rollen, die Sie aus Prinzip nicht spielen würden?
Ja, ich würde nicht Hitler spielen wollen. Ansonsten muss man immer auf das Drehbuch schauen. Ich würde nichts spielen wollen, was rechts-tendenzielle Gesinnungen irgendwie unterstützen würde.
Im Buch schreiben Sie: „Ich war immer offen, selbst Menschen gegenüber, die anders waren, vielleicht sogar radikal.“ Wie weit reicht diese Offenheit heute?
Es hat keinen Sinn, radikale Menschen von vornherein zu verteufeln. Man muss zumindest versuchen, mit ihnen zu reden: Was ist euer Problem? Wie kann man das verändern? Werden hier nicht Unschuldige von eurer Partei zum Sündenbock gemacht? Stehen in dem Parteiprogramm nicht überwiegend Dinge, die euch selbst direkt schaden? Man muss gesprächsbereit bleiben und aufzeigen, dass Demokratie und Zusammenhalt ein wertvolles Gut sind, dass die EU Freiheiten erlaubt, die ein Austritt zunichtemachen würde. Was das bedeutet, können wir sehr schön in England sehen. Die ausländischen Ärzte und Fachkräfte sind ihnen davongelaufen, die neuen Zölle auf Importe und Exporte haben alles immens verteuert und wo sie früher mit einem Nicken durch den Zoll gelaufen sind, stehen sie jetzt an meterlangen Schlangen. Mit den falschen Menschen an der Macht kann alles ganz schnell völlig aus dem Ruder laufen.
Sie halten nichts von emotionalem Abstand zur Rolle. Ist das nicht extrem anstrengend, wenn man so eine Rolle spielt wie die in „Block 10“?
Diese Rolle ist in der Hinsicht mit am einfachsten, weil das kein empathischer Mensch ist. Ich musste im Grunde genommen nur alle Gefühle abstellen. Wenn sich eine junge Frau quält und schreit vor Schmerz und meine Figur dann noch draufhaut, muss ich alles zur Seite schieben, was ich selbst an Empathie in mir habe.
Nicht einfach, wenn man selbst ein empathischer Mensch ist.
Es geht. Viel schwieriger sind die Drehpausen, weil man sich dann denkt: Um Gottes willen, was haben diese Menschen getan? Was haben die für eine Schuld auf sich geladen? Warum mussten sie andere Menschen so quälen? Da waren natürlich auch viele junge Kolleginnen am Set, die dann den Kopf geschoren bekamen. Allein diese Erniedrigung macht was mit einem.
Können Sie solche Rollen, wenn Sie abends nach Hause gehen, wieder gut ablegen – oder erst, wenn der gesamte Dreh vorbei ist?
Inzwischen habe ich sehr gut gelernt, mit solchen Dingen umzugehen. Das gehört ja auch zu meiner Profession, Gefühle an- und abzustellen für die entsprechenden Momente. Mit nach Hause nehme ich das auf keinen Fall, wobei ich natürlich schon auch mit meiner Frau über meine Arbeit rede und ihr von diesen Furchtbarkeiten berichte.
Im Buch werden Sie von einem ehemaligen Intendanten als Rampensau bezeichnet. Sind Sie tatsächlich eine?
Ja, ich bin auf jeden Fall eine Rampensau. Das ist ja auch nichts Ehrenrühriges – man muss in dem Job in gewisser Weise eine Rampensau sein. Man möchte ja unterhalten und das heißt auch, dass man voll ist mit Ideen und Vorschlägen, was man noch alles machen kann. Eine Rampensau zu sein, ist eigentlich eine gute Eigenschaft.
rnd






